Freitag, 8. Januar 2016

Auf dem Thumsee, Bad Reichenhall, Deutschland

Es mag mit dem Alter zusammenhängen, dass sich unser Geschmack unmerklich verschiebt, was erst dann manifest wird, wenn man anhand eines vertrauten Phänomens auf einmal eine andere Reaktion an sich bemerkt. Ist die Dingwelt der Jugend noch magisch mit Emotionen aufgeladen, so will das Alter sie lieber präzise, nützlich und von einer nahezu sich selbst auflösenden Zurücknahme an Form. Der opulente Bienenkorb einer mit Bildern, Zetteln und Kram vollgestopften Brieftasche weicht irgendwann dem mühelosen Ensemble aus Geldspange und Kreditkartenhalter, in dem gerade noch Platz für ein Faksimile oder das Passfoto des Sohnes bleibt. Die Landschaft, deren Dramatik früher nicht scharf genug umrissen und exakt sein konnte, scheint auf einmal reizvoller, wenn sie eigentlich ungreifbar ist. Ein See im Nebel, der seine Dimension nicht preisgibt, weil sein Horizont im Grauen verschwindet. Der Berghang, dessen Höhengrat sich nicht abschätzen lässt, weil er von Schneewehen verschluckt wird. Ein Bootssteg, von dem nur ein Pfahl mit Seil übrig geblieben ist, und von dem letzten Endes niemand weiß, ob er je da gewesen ist. Thomas Mann hat einmal eine Erzählung nicht nüchtern, sondern unter dem Einfluss von Champagner verfasst. Sie heißt "Der Kleiderschrank" und endet mit den Worten: "Alles muß in der Luft stehen..." Das gilt unbedingt auch für die Landschaft hier.

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