Montag, 11. Januar 2016

In meinen Gedanken heute, unentwegt

Philosophieren heißt sterben lernen, so hat es einmal Michel de Montaigne formuliert. Und gleich dazu, in seinen immer wieder bereichernd zu lesenden Essais, eine Empfehlung dazu gegeben, wie das im Alltag zu verstehen ist: "Berauben wir den Tod zunächst seiner stärksten Trumpfkarte, die er gegen uns in Händen hält, und schlagen wir dazu einen völlig anderen als den üblichen Weg ein: Berauben wir ihn seiner Unheimlichkeit, pflegen wir Umgang mit ihm, gewöhnen wir uns an ihn, bedenken wir nichts so oft wie ihn! Stellen wir ihn jeden Augenblick und in jeder Gestalt vor unser inneres Auge." Es muss als Akt ausserordentlicher Willenskraft und Haltungsstärke gewertet werden, wenn ein Mensch mit der Diagnose einer tödlichen Krankheit, also im Angesicht seines ausweglosen Endes, nicht aufgibt oder in Selbstmitleid verfällt, sondern vielmehr den Tod umarmt und ihm im gleichen Moment hohnlacht, indem er mit einem letzten vollendeten Kunstwerk seine Ankunft in eine Feier des Lebens verwandelt, die erst im Nachhinein als Epitaph an sich selbst verstanden werden kann. Natürlich geht es um David Bowie und sein letztes Album "Blackstar", dessen Titel nun, da wir wissen, dass er wusste, eine ganz besondere Bedeutung gewinnt. Nicht nur der von einer Sonnenfinsternis verdunkelte Planet wie im Video zu "Blackstar" mit der brillanten, gleichsam an die große Stummfilmzeit in Deutschland gemahnenden Idee, Knöpfe über einem Kopfverband als bizarr verfremdende Augensymbole zu verwenden. Sondern auch der Stern des Todes als Gegenbild zum nicht existierenden Paradies und der zu erwartenden Dunkelheit dort. Jemand, der sich allein im Hier und Jetzt sieht, weil er nicht an ein Jenseits glaubt und daher das lateinische Carpe Diem zum Motto seines Lebens gemacht hat, entwickelt natürlich eine ganz andere Einstellung zum Tod. “Make the best of every moment. We’re not evolving. We’re not going anywhere.” Das widerspricht nur auf den ersten Blick der Raumschiff-Welt in Bowies berühmtesten Liedern, indem es die Utopie des anderen Ortes, zu dem wir hoffnungsvoll aufbrechen, sei es der Mars oder eine unbekannte, ferne Galaxie, in Abrede stellt. Vielmehr macht das Zitat umso deutlicher, dass Major Tom und seine anderen Helden niemals auf einem anderen Planeten waren, sondern nur völlig vereinsamt in splendid isolation ihr kaltes, einsames Leben Lichtjahre von den anderen entfernt, als Menschmeteore und Junkies auf der Erde fristeten. Das Verschweigen der Krankheit ist der Triumph seiner Haltung, auch den Abtritt von der Bühne als Souverän zu gestalten. Ein Künstler, der seinen Baudelaire gelesen hat, der in den Tagebüchern einmal den berühmten Satz schreibt: "Der Dandy muss sein ganzes Streben darauf richten, ohne Unterlass erhaben zu sein, er muss leben und schlafen vor einem Spiegel.“ Als ich vor kurzem im Frankfurter Zoom den Bowie-Verehrer Robert Forster spielen sah, musste ich an eine wunderbare Geschichte denken, die er einmal während eines Interviews erzählt hat: Als er 1981 im Zentrum von Sydneys Subkultur wohnte, dem bohemischen Darlinghurst, das er mit den Go-Betweens in einer grandiosen Hymne musikalisch verewigt hat, lief Forster eines Morgens die Victoria Street hinunter und ihm kam im noch menschenleeren Viertel wie in einem Western direkt ein Mann entgegen. Es war der Sänger Mark Hunter von der australischen Band Dragon. Und trotz aller Herrgottsfrühe: "He looked fantastic. Tall, thin black hair. Cheek burns, clean shaven. Clothes completely right. Probably only out to get milk and the paper. But he was ready. He knew. He could have gone on stage anytime. And he was teaching me a lesson: Being a rockstar is a 24 hour a day job.  No track suit, no pants or thongs. That's attitude. That's the way to carry yourself." Und das gilt selbstredend auch für Bowie, der selbst auf einem überraschend aufgenommenen Polizeifoto 1976 in Amerika so gut aussah, dass man sofort an ein verschollenes Plattencover glaubt. Godspeed, David.

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