Sonntag, 17. Januar 2016

Auf meinem Desktop, Macbook Pro, Apple

Manche Bilder erregen unsere Aufmerksamkeit, obwohl wir nicht sofort sagen können, warum. Als ich mehr oder wenig zufällig während einer Google-Bildsuche auf jenes lange verschollen geglaubte Gemälde von Max Liebermann stieß, war ich unmittelbar begeistert. Es entzieht sich komplett meiner Erinnerung, welche Stichworte ich eingegeben hatte, aber auf einmal war es da. Vom Titel "Jäger in den Dünen" her könnte man annehmen, ich hätte meine Suchanfrage wenigstens einem der beiden Schlagwörter gewidmet, aber ich kann mir beim besten Willen nicht herleiten, auf welcher Recherche das geschehen hätte sollen. Obwohl ich mich, nicht erst seit der Lektüre des Meisterwerks Über die Jagd von José Ortega y Gasset, für die Jagd interessiere, die, so Ortega, uns zurück entführt in eine ursprüngliche Welt, in der es mehr auf den Instinkt als auf Vernunft und das Denken ankommt. In dieser Welt feiert der Jäger, darin dem Objekt seiner Jagd, dem Tier, sich annähernd, eine Art, wie Ortega es nennt, "Ferien vom Menschsein", was ihm einen tieferen Sinn des Daseins erschließt und so ein Glück erfahren läßt, das im Ennui der Zivilisation verloren gegangen ist. Weil er, auch darin dem Tier gleich, nach dem er jagt, die Witterung aufnimmt und dafür sein gesamtes Sensorium in Anspruch nehmen muss, das viel zu oft im Alltag brach liegt, obwohl es uns seit über 15.000 Jahren, in die DNA eingeschrieben ist und unsere Verbindung zu den Anfängen der Menschheit bildet. Und auch die Dünen sind seit den Kinderferien am Meer eine meiner Lieblingslandschaften, die ich nicht müde werde, bewundernd zu betrachten, von der Farbpalette bis zur Struktur aus Sand und Gras, den Aromen und ihrer Natur als Landschaft, die unaufhörlich, von Wind und Wetter gezeichnet, ihre Form verändert und so wie kein anderes geographisches Phänomen zur sinngemäßen Entsprechung der nomadischen Existenz taugt, die mich ebenfalls seit Jahren, als Kontrapunkt zur Sesshaftigkeit unserer Lebensentwürfe, immer wieder beschäftigt. Nichtsdestotrotz habe ich nach keinem der beiden Themen gesucht, es bleibt also ein Rätsel, weshalb das Bild angespielt wurde wie ein Song aus der Jukebox des Zufallsgenerators, der überraschenderweise exakt unseren Musikgeschmack trifft, wie es in neuester Zeit manchmal auf Youtube vorkommt, wenn man ein Stück sucht und nebenan in der Leiste auf einmal ein Video auftaucht, das auf den ersten Blick nichts mit der logischen Reihung der Titel zu tun zu haben scheint. Wenn man dann auf diese Weise einen bis dato unbekannten Künstler entdeckt, kann das zu überraschenden Offenbarungen führen wie gestern, als ich in der Mixcloud eine neue Zusammenstellung des Chillout-Gotts Mixmaster Morris hörte, den ich vor Jahrzehnten einmal im Hamburger Klub Purgatory kennenlernen durfte. Mitten im zweiten Teil seines Sets auf der Provo Afterparty Sapporo spielte er plötzlich "Fordlandia (Aerial View)", ein Werk des großen isländischen Komponisten Jóhann Jóhannsson, dessen Musik von einer nahezu ausserweltlichen Traurigkeit und Schönheit ist und der leider 2014 für seinen Soundtrack zu "The Theory of Everything" keinen Oscar gewonnen hat, obwohl er nominiert war. Genau so kam ich auf einmal, per Zufall, zu "Jäger in den Dünen", ein Bild, das Max Liebermann, wie ich herausfand, einem holländischen Tabakmagnaten zu verdanken hat, dem er 1913 in Noordwijk einen Besuch abstattete, wo dieser eine Jagdhundeschule betrieb. Obwohl Farbton, Atmosphäre und Sujet der zwei im gleichen Jahr, eventuell sogar vor Ort entstandenen Jagdstücke in den Dünen dem Bild oben ähneln, sticht das ein Jahr später vollendete aus der Serie heraus. Was alle Arbeiten dieser Zeit eint, ist, wie Erich Hancke 1914 erkennt, eine "Kühnheit und Einfachheit", die den Auftrag des Impressionismus bis hin zur absoluten Mimikry der Materialität erfüllt. Das, wie oft bemerkt wurde, nahezu gespachtelte Auftragen der Farbe auf eine rauhe Leinwand, die selbst wie ein Sandgrund hier und da durchleuchtet, der heftige Duktus seines Pinsels, der den Naturgewalten von Wind und Wogen nachempfunden scheint wie das im Sturm hin- und herwehende Dünengras. Diese Maltechnik fasste der Monograph Hancke begeistert wiefolgt: "Er mischte seinen Ton schnell und fast ohne hinzusehen, setzte ihn mit einem energischen Hieb auf die Leinwand und rannte sechs Schritt zurück, um die Wirkung zu beurteilen. Da er den Pinsel sehr voll Farbe nahm und auf der Palette nicht fest durcheinandermischte, konnte er eigentlich niemals genau wissen, was er darin habe, und seine Malerei war immer ein Benutzen von Zufälligkeiten." Der Maler vertraute also auf ein ähnliches Prinzip wie das, was mich letzten Endes zu seinem Bild geführt hatte. Was das Bild selbst anbetrifft. so scheint es die oben umrissenenen Thesen von Ortega y Gasset zu bestätigen. Der Jäger geht nicht nur, was die Farbpalette seiner Kleidung anbetrifft, problemlos in der Landschaft auf, deren Gewicht durch den verschwindend schmalen Seehimmel im Hintergrund noch betont wird. Auch Gesicht und Hand nehmen Akzente der Sandfarben auf, das braune Haar findet sich in der schraffiert angedeuteten Fauna des Dünentals wieder, und selbst die Flinte schimmert als Spiegelbild des silbrigen Himmels, behutsam integriert durch die Richtung, in der sie angewinkelt ist, parallel zum Horizont und den Farbstrichen der Landschaft gesetzt. Die Ode an die Schattierungen der Farbe Grün ist vielleicht auch deswegen so perfekt gelungen, weil sie aus der Erinnerung, ein Jahr später, gemalt wurde und so mehr von einem Ideal hat, einer Art philosophischen Komposition, die selbst den dunklen Hut des Jägers nicht ohne Entsprechung eines Schattens im Vordergrund lässt wie auch den strahlend weißen Hemdkragen, der sich in nahezu identischer Dimension auf gleicher Höhe als aufblitzendes Stück Sand wiederfindet. Als er 1913 zusammen mit dem Kunsthändler Paul Cassirer und einem Journalisten die Hundeschule besuchte, war er, wie es heißt, "begeistert von der Leichtigkeit, mit der ein schottischer Trainer eine Meute von 32 Hunden durch die Dünen führte", ein Umstand, der sich in der Eleganz der Darstellung niederschlägt, dem leicht angewinkelten Bein des Jagdmanns, dem lockeren Fall seines Jacketts und der vollendeten Komposition im Allgemeinen. Das Gemälde, das Liebermann 1914 bei Paul Cassirer ausstellte und dessen Spur sich kurze Zeit später bereits verliert, galt bald offiziell als verschollen, tauchte knapp 70 Jahre später in einer britischen Privatsammlung wieder auf und wurde 2004 von der Galerie Paffrath in Düsseldorf für 69000 Euro angeboten. Nur eines bekommt man im Internet nicht heraus: wer es gekauft hat, wohin seine Reise weiterging und wo man es heute betrachten könnte, wenn es denn ein Museum war, das den sicher als Spottpreis zu betrachtenden Geldbetrag investiert hat. Das macht einen dann doch traurig.

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